
Um Suqueim
Dubai, V.A. Emirate. Januar 2009
Noch bevor der Muezzin zum ersten Gebet vor Sonnenaufgang ruft, ertönen im Hafenbecken von Um Suqueim die ersten noch verhaltenen Geräusche PS-starker Aussenbordmotoren. Mit schwacher Beleuchtung verlassen nach und nach immer mehr improvisierte Fischerboote, meist einfache Sportboote, deren Intention sie erst zu Fischerbooten macht, den kleinen Hafen und begeben sich alsdann mit aufheulendem Motor in die noch dunkle Weite des Arabischen Meeres.
Kumar kommt wie die meisten hier aus Tamil Nadu dem süd-östlichen Bundesstaat des Indischen Subkontinents. Er ist einer von über 100 Fischern, die hier neben den Hochseeangelschiffen im Hafenbecken eines renommierten Segelclubs eine vorübergehende Bleibe gefunden haben. Vor einem knappen Jahr ist der 26jährige mit der Aussicht auf einen Job hier nach Dubai gekommen. Wenn er von seiner Heimat erzählt, schwärmt er von dem natürlichen Reichtum seines Landes und fügt mit einem Lächeln hinzu, dass es in Dubai genau umgekehrt sei: hier seien die Menschen reich. Die Baracke hinter sich nennt er liebevoll palace. Nummer 121 steht in der Ecke rechts oben, es ist die letzte in dieser Reihe, weshalb es im Winter manchmal nachts kalt reinzieht. Auf seinen ca. 4 m² ist neben einer Matratze nur noch Platz für einen improvisierten Gaskocher. Doch die heiße Luft, die hier aus dem Kochtopf emporsteigt, erwärmt dann auch gleich die ganze Hütte mit.
Um Suqueim gehört aufgrund seiner Lage zu den begehrtesten Wohnvierteln Dubais. Es grenzt im Norden an das ebenfalls prächtige Villenviertel Jumeirah, im Süden direkt an das eindrucksvolle Burj-al Arab und weitere hoch ausgezeichnete Hotels, während sich nach Westen hin die begehrten Strandabschnitte zum Arabischen Meer befinden. Eindrucksvolle Villen reihen sich hier hinter dem breiten Sandstrand aneinander. Währenddessen geht es vor der Küste zielsicher mit GPS-Navigation zu den Tage zuvor ausgelegten Fangkäfigen und Netzen. Früher seien diese so voll mit Fischen gewesen, dass sie ein Einzelner gar nicht aus dem Wasser heben konnte, beklagt sich ein Fischer, doch durch die zunehmende Landgewinnung und Bebauung in Form der künstlichen Palmeninseln und ähnlicher Projekte seien die Fischbestände vor der Küste massiv zurückgegangen. Zur gleichen Zeit zieht sich im Hintergrund langsam die Sonne an Dubais unbeirrt wachsender Skyline in den Himmel.
Die meisten Emiratis, die hier morgens mit ihren Jeeps zum Fischen vorfahren, arbeiten hauptberuflich in völlig anderen Tätigkeitsfeldern oder sind bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden. Daher geht es ihnen auch nicht um einen besonders ertragreichen Fang, sondern um die Fortführung ihrer Familientradition. Oft haben ihre Großväter schon hier gefischt zu einer Zeit als Dubai noch eine kleine verschlafene Stadt am Meer war. So auch der Vater und Großvater von Majid. Seit über 15 Jahren fährt Majid nun selber regelmäßig mit seinem Boot vor die Küste in die ebenfalls ererbten Fanggebiete und holt mit seinem indischen Fischerteam den Fang aus seinen Käfigen und Netzen. Diese sind meist so groß und schwer, dass sie nur mit drei Mann und einer elektrischen Winsch an Bord zu holen sind. Nach unruhigen Wettertagen kommt oft noch hinzu, dass sich statt Fischen nur Algen- und Korallenteile im grobmaschigen Netz verfangen haben, die anschließend mit Kunststoffstäben und Bürsten vom Drahtgestell geschlagen und geschrubbt werden müssen. Erst dann werden sie wieder mit alten Fischresten bestückt und in die türkis-blaue Tiefe entlassen, während derweil die gefangenen Fische verzweifelt auf dem Schiffboden ihren aussichtslosen letzten Kampf gegen die lebensfeindliche Trockenheit verlieren. Der Fisch ist fast ausschließlich für ihre Familien und Freunde bestimmt. Einen großen Anteil erhalten auch die arbeitenden Inder. Davon werden dann ausreichend Mittagessen bereitet und der immer noch zahlreiche Rest am nächsten Morgen an Händler weiterverkauft, so dass der Fisch letztendlich mit einem Tag Verspätung, doch noch auf dem großen Fischmarkt in Dubais Altstadt landet. Die wenigsten Inder hier sind jedoch mit dem direkten Fischfang beschäftigt. Die Meisten säubern und flicken über den Tag Netze, bauen Fangkäfige aus Draht und Metallstangen und legen säckeweise altes Brot auf Planen in der Sonne zum Trocknen aus, um es Tage später als Lockmittel in die Fischkäfige zu geben. Wieder Andere setzen Außenbordmotoren instand oder werkeln an allerart elektronischem Gerät. Daneben werden auf kleinen Tischen oder improvisierten Unterlagen Fische und andere Meerestiere ausgenommen, und gegen Mittag dampft und duftet es aus unzähligen Töpfen und Hütteneingängen.
Nach dem Mittagessen und der Fortsetzung der Arbeit werden die letzten Sonnenstunden noch für andere (schönere) Dinge genutzt. In der Mitte des großen Platzes wird unter den Augen vieler Mitfiebernder Volleyball gespielt, überall wird telefoniert und auf mancher Decke befindet sich eine beträchtliche Anzahl ausgelegter Karten, die nur von den um sitzenden Mitspielern begrenzt werden. Manch einer verfolgt den farbenprächtigen Untergang der Sonne im Arabischen Meer und wieder andere sind schon dabei, die Boote mit den notwendigen Materialien für den nächsten Morgen auszustatten.
Gegen Abend wird es wieder ruhiger auf dem Hafengelände. Aus vielen der geduckten Hütteneingänge strahlt spärliches Licht und oft auch noch Gerede und Gelächter in die Nacht hinaus. Unter einem Überstand brummen noch ein Fernseher und der dazugehörige Generator, und direkt daneben liegen schon in Decken eingerollte schlafende Menschenkörper. Der Muezzin ruft zum letzten Mal des Tages zum Nachtgebet und dann kehrt langsam Stille auf dem Hafengelände ein.