Jaflong

Jaflong – Stadt auf Sand

Jaflong, Bangladesch. 2020

Im äußersten Nordosten Bangladeschs, direkt an der Grenze zum indischen Meghalaya, ringen die Bewohner des Dorfes Jaflong mit der Zentralregierung in Dhaka um Touristen, Arbeit und viel Sand.

we care tourist” steht in großen englischen Buchstaben auf einem Hinweisschild der Tourismus-Polizei an der Einfahrt zu einem Busparkplatz nahe der Uferböschung des Flusses Goyain. Zur Sicherheit ist auch gleich noch eine Telefonnummer der Polizei mit angegeben. Dutzende jugendliche Fotografen mit großen Zoomobjektiven tummeln sich auf dem Platz zwischen den Bussen und versuchen die ankommenden Gäste zu witzigen Posen oder Gruppenbildern zu animieren. Ein nahezu sinnloses Unterfangen bei der hohen Handy- und Selfie-Stick- Dichte.

Der 55 jährige Abdul Jolil hat von seinem weißen Plastikstuhl aus einen guten Überblick über den ganzen Fluss, der zur dieser Jahreszeit nur sehr wenig Wasser führt. Sein Wohlstandsbauch, um den ein blau gestreifter Lungi gewickelt ist, sticht hier zwischen den hageren und sehnigen Körpern der Arbeiter schnell hervor. “Um die 50 Bootsladungen Sand werden für mich hier am Tag angeliefert”, berichtet er stolz und zeigt auf bengalische Zahlenfolgen in seinem kleinen Notizbuch. “600 Takka (umgerechnet 6 Euro) kostet mich eine Schiffsladung Sand”. Der Sand ist dabei nur Minuten vorher aus der Mitte der Flusses in durchlöcherten Eimern entnommen worden. Die schmalen Holzboote auf die der Sand mit den Eimern geladen wird werden nur mit wenigen Stahlstangen im Wasser gegen die leichte Strömung verkeilt. Zu dieser Jahreszeit stehen die Arbeiter höchsten bis zur Hüfte im Wasser. Zurück am Ufer wird der nasse, schwere Sand mit großen Bastkörben auf den Köpfen der Arbeiter schnellen Schrittes die Böschung hinauf getragen. Zeit ist Geld und das Ausladen ist schon im Preis mit inbegriffen.

Zu viele Familien kommen inzwischen aus den umliegenden Distrikten auf der Suche nach Arbeit hier her”, beschwert sich Abdul und deutet auf die unzähligen Bast- und Plastikhütten, die sich an der Böschung des gegenüberliegenden Ufers angesiedelt haben. “Nicht gut für die Gemeinschaft und die Region sei das”, ergänzt der Vater von fünf Töchtern, “zu viel Sand und Steine werden hier entnommen, die Konkurrenz wird immer größer und damit auch die Preiskämpfe immer härter”. Den Vorstoß der Politik den Zuzug der Menschen stark Einzuschränken hält er für richtig. Es würde ihm gleichzeitig eine Menge Konkurrenz vom Halse halten.

Jalal Rooti hat aus der Situation das Beste gemacht und verkauft in seinem kleinen Shop am Ufer bearbeitete Steine an Touristen. “I love You”, “Happy Birthday” oder “Jaflong Tour 2020” steht in bunten Farben auf den weichen, Handteller großen und flach geschliffenen rötlichen Steinen. Sie sind zu weich für die Kieselproduktion und werden überall aussortiert. Leichtes Spiel für Jalal, der mit scharfen Eisenwerkzeugen noch allerlei zusätzliche Verzierungen hinzufügt. Individuelle Anfertigungen mit den Namen von Gästen sind für den 22 jährigen kein Problem.

Jaflong liegt inmitten eines Naturschutzgebiets, mit weiten Teeplantagen und fast unberührten, subtropischen Bergregionen und Regenwäldern. Es ist bekannt für seine Vielzahl an Steinvariationen und dem Lebensraum der Khasi, eines indigenen Volkes, die hier im äußersten Nordosten Bangladeschs und in den angrenzenden indischen Bundesstaaten Meghalaya und Assam beheimatet sind. Ihre Sprache ist eng verwandt mit dem Kambodschanischen und Vietnamesischen. Knapp 1,5 Millionen Khasi leben im indischen Meghalaya, wo sie die Hälfte der Bevölkerung stellen und ihnen die indische Verfassung besondere Schutz- und Selbstverwaltungsrechte als „registrierte Stammesgemeinschaften“ (Scheduled Tribes) garantiert. Einige Khasi-Dörfer in Meghalaya wurden weltbekannt für ihre großen Wurzel-Brücken aus lebenden Gummibäumen. Weitere 100.000 Khasi leben in den Bergregionen um Jaflong in Bangladesch. Auch hier genießen die Khasi einen besonderen Schutz, vor allem des Besitzes und der Nutzung ihrer Landflächen. Nach der Khasi-Tradition liegt der Besitz von Grund und Boden nur in den Händen von Frauen, er sichert den Müttern und ihren Großfamilien soziale und wirtschaftliche Selbständigkeit und Absicherung. Doch dieser Schutz wird immer häufiger untergraben. Investoren und Bauunternehmer kaufen den Khasi Landflächen ab, um dort Steine und Kies abzubauen. Und während sich wenige Dorfälteste der Khasi damit unrechtmäßig bereichern und der Landbesitz der Khasi beständig und unwiederbringlich schrumpft, entstehen immer neue Kiesgruben in einem Naturschutzgebiet.

Sand ist, neben Luft und Wasser, die meistgenutzte Ressource der Erde. Unsere ganze Zivilisation ist buchstäblich auf Sand gebaut. Für jede Mauer, jede Straße, jedes Fenster, sogar für Kosmetikprodukte und für jeden Computerchip wird Sand benötigt. Allerdings lassen sich nur Quarzsand aus der Erde oder dem Wasser verarbeiten. Wüstensand hingegen ist nicht brauchbar, da die Sandkörner durch den Wind rund geschliffen sind und sich durch die fehlenden Kanten nicht mehr verhaken können.

Bangladesch ist selber fast ausschließlich auf Sand gebaut, Schwemmland, welches die unzähligen Flüsse über die letzten Jahrtausende aus dem Himalaya ausgewaschen haben. Jaflong ist einer der wenigen Orte in Bangladesch, an denen große Steine und Kies aus dem Erdreich gewonnen werden können, wobei zuerst der fruchtbare Nährboden abgetragen wird, um an die darunter liegenden Sand- und Kiesschichten zu kommen. Auch wenn die globale Nachfrage nach Sand in den letzten Jahren immer stetiger gestiegen ist, so bleibt der Großteil des hier abgebauten Rohstoffes im eigenen Land. Schließlich ist Bangladesch mit etwa 165 Millionen Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von 1084,2 Menschen je Quadratkilometer der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt. Die Hauptstadt Dhaka ist eine der am schnellsten wachsenden Megastädte.

Der Grenzpunkt zu Indien in der Flussmitte, auch als „Zero Point“ bekannt, ist ein bekannter Touristenspot. Ein schmales Rinnsal gluckert hier in der Trockenzeit über den steinigen Flusslauf. Viele Touristen sind hier her gekommen und machen Selfies. Es werden Eis und Snacks verkauft und viele Jugendliche mit großen Fotoapparaten bieten ihre Hilfe bei Gruppenbildern gegen ein kleines Entgelt an. Einige indische Grenzbeamte stehen unweit entfernt und beobachten das Treiben. Die Erhöhungen und die Brücke im Hintergrund gehören schon zu Indien. Für Bangladeschis ist diese Grenze geschlossen. Lediglich internationale Touristen dürfen diesen Grenzübergang nutzen. Und Waren. Von hier gelangen Unmengen Süßigkeiten und Pflegeprodukte aus Indien ins Land. 75 % der Waren, die hier in den Shops um den Bushof angeboten werden, kommen aus dem benachbarten Indien, erzählt einer der Shopbetreiber. Auch Tee aus Myanmar wird hier überall angeboten, dabei sind Bangladeschs Teeplantagen des “Tea Estate Jaflong”, wie der Distrikt auch genannt wird nur wenige Kilometer entfernt.

Mohammed Hasan ist Eigentümer einer kleinen Kiesfirma. Seine Arbeiterinnen, alle in bunte Tücher gekleidet, tragen unentwegt angelieferte Steine in Metallschüsseln auf ihrem Kopf zu Förderbändern, wo die Steine zerkleinert werden und anschließend durch verschieden große Siebe fallen. Von dort werden sie, nach Größe sortiert, mit weiteren Förderbändern zu unterschiedlichen Aufschüttungen transportiert. Hasan hat sich auf die Produktion von sehr feinen Kieseln konzentriert, die für den Rohbau von Gebäuden gebraucht werden. Seine scharfkantigen Steinteile werden im ganzen Land gekauft. Drei kräftige junge Männer befüllen mit Schaufeln gerade einen Kipplaster, der anschließend ins ferne Chittagong gehen soll. “Im Gegensatz zu den Sandschürfern, die während der Regenzeit nicht arbeiten können, arbeiten meine Arbeiter das ganze Jahr durch” berichtet er stolz. Der mächtig angeschwollene Fluss führt dann soviel Wasser, dass er alles was sich ihm in den Weg stellt, mitreißt. Ein Problem für die Wanderarbeiter aus den anderen Landesteilen, weil die dann nichts mehr verdienen und zurück in ihr Dorf gehen, um dort zu helfen.

Die Verknappung der Arbeitserlaubnisse sieht Hasan kritisch, schließlich ist er Nutznießer vom ungehinderten Zuzug billiger Arbeitskräfte. “Die Regierung ist gar nicht in der Lage, dass konsequent durchzusetzen. Viele der Grabungen sind eh illegal”. Er fordert ein berechtigtes Nebeneinader von Tourismus und den Arbeitern, so wie es jetzt schon gehandhabt wird. “Beim Zero Point sind nur Touristen erlaubt, die Grabungen beginnen erst einige hundert Meter flussabwärts. Der Fluss bietet schließlich genug für Alle”.

Am flussnahen Ende des Bushofes ist ein ca. 20 Meter hoher Aussichtsturm gebaut worden. Von hier hat man einen guten Überblick über die Umgebung. Die Ufer des Flusses ähneln eher einem zerbombtem Flickenteppich, während unzählige schmale Holzboote in der Flussmitte den frischen Sand zu Tage fördern. Fische haben hier schon lange keine Lebensgrundlage mehr. Doch noch ist keine einzige Maschine am Fluss zu sehen oder zu hören. Das Gelände ist zu unwegsam für Bulldozer oder Kräne. Nur aus dem Hinterland dröhnen die Steinbrechmaschinen und Förderbänder. Mit der nächsten Regenzeit von Mai bis September werden die Sandgruben wieder zu gespült und die Touristen werden fortbleiben. Nur das Dröhnen der Steinbrecher und Förderbänder wird bleiben, solange, bis die angelieferten Steinhaufen verarbeitet und die daraus gewonnenen Kiesel abtransportiert sind. Mit dem Einsetzen der Trockenzeit im Oktober beginnt der Raubbau der Natur dann wieder von vorn.